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Artikel zum Leinenruck

Interessanter Artikel zum Thema Leinenruck

In vielen Hundevereinen oder Hundeschulen wird der Leinenruck immer noch als „die Erziehungsmethode“ propagiert. Er steht sogar noch in so manchen Ausbildungsleitfäden von Hundesportverbänden, die sich damit rühmen, Ansprechpartner Nummer 1 zu sein, wenn es um den Hund geht. Angeblich ungehöriges Verhalten darf Mensch nicht dulden und muss sofort bestraft werden. Scheinbar hat sich bisher kaum jemand Gedanken darüber gemacht, ob das Rucken an der Leine auch wirklich beim Hund als Strafe ankommt. In den meisten Fällen wird lediglich ein Verhalten unterbrochen und unterdrückt resp. meistens beim Hund noch verstärkt.



In der Psychologie wird Strafe folgendermaßen definiert:

„Strafen (S) heißen absichtlich herbeigeführte Ereignisse, die zu unangenehmen inneren Zuständen (-Z) führen, die Betroffene im allgemeinen vermeiden möchten. Ob eine Maßnahme also eine Strafe im psychologischen Sinne ist, hängt ganz davon ab, ob die Maßnahme zu unangenehmen inneren Zuständen führt, die der so Bestrafte nicht vermeiden kann.“

Was für die Hundeausbildung bedeutet, dass wir wissen müssten, WAS unser Hund als unangenehm empfindet. Das bedingt aber eine eindeutige Kommunikation zwischen Mensch und Hund. Wir können immer nur durch die äußerliche Reaktion des Hundes vermuten und interpretieren, was er empfindet. Gewissheit werden wir darüber selten erlangen. Das einzige, was wir mit einem Leinenruck erreichen, ist, dass wir kurzfristig ein für uns unerwünschtes Verhalten unterbrechen und wir uns daraufhin besser fühlen. Das führt früher oder später zur klassischen Konditionierung unsererseits – dass wir in allen für uns schwierigen Situationen den Ruck anwenden und dieses auch nicht mehr bewusst steuern.

„Klassische Konditionierung – ein vorher neutraler Reiz (Leinenruck) bekommt eine Bedeutung (innere Entspannung) und findet unbewusst statt. So wird ein bedingter Reflex gelernt – hier das automatische Rucken an der Leine bei schwierigen Situationen.“

Schauen wir uns erst einmal - ganz wertfrei - die Technik des Leinenrucken an:
Sie führen Ihren Hund an einer normalen 1,20 m Leine und Halsband, in Situationen, in denen der Hund unaufmerksam ist, er vielleicht andere Hunde anbellt, er nicht "korrekt" bei Fuß läuft, vorprescht oder zurückhängt oder aggressiv reagiert, sollen Sie schnell ruckartig und heftig an der Leine reißen, so dass der Hund einen Ruck im Genickbereich verspürt. Das am Besten gleich mehrmals hintereinander, damit der Hund ja weiß, dass das gezeigte Verhalten unerwünscht ist. Empfindsame oder kleine Hunde neigen dazu, ihrem Schmerz Ausdruck zu geben und jaulen auf. Diese Technik wird z.T. auch schon bei Welpen und Junghunden, die sich ja noch in einer sensiblen Phase der physischen und psychischen Entwicklung befinden, angewandt.

Das Paradoxe an dieser Ausbildung beim Welpen und Junghund ist, dass einerseits penibel von Hundebesitzern und Hundeschulen / -vereinen darauf geachtet wird, dass der Hund die ersten Monate keinerlei Treppen läuft, andererseits wird an einer sehr empfindlichen Stelle des Hundes mechanische Gewalt angewandt.

Was das für das Skelett des Hundes bedeutet, das noch weich und formbar ist, dürfte jedem klar sein.

Trainer / Hundeausbilder / Verhaltenstherapeuten, die diese Technik immer noch anwenden und meist auch noch im Bereich der Verhaltenstherapie bei aggressiven Hunden, werden ad absurdum geführt, wenn man folgende Doktorarbeiten liest:

In der Dissertation von Brunss (2003), in der es um „Faktoren, die beißende von nicht-beißenden Hunden Unterscheiden“ werden folgende Auswirkungen des Leinenrucks Art erklärt:
Das Rucken an der Leine wird eingesetzt, um fehlerhaftes oder unkorrektes Verhalten des Hundes zu bestrafen.

Insbesondere bei Angst bedingtem Problemverhalten stellt das Rucken an der Leine jedoch keine geeignete Methode dar, hier führt es sogar zu einer Steigerung der Angst und des aggressiven Verhaltens (BORCHELT und VOITH 1996, QUANDT 2001).

Es ist anzunehmen, dass Halter von Hunden der Gruppe B* im Wesenstest häufiger korrigierend auf ihre Hunde einwirken wollten. Offensichtlich waren diese Halter stärker gestresst, als Halter von Gruppe K-Hunden*. Das häufigere Reißen an der Leine kann dabei auf einen erhöhten Stresslevel bei Haltern von Gruppe-B-Hunden zurückgeführt werden.

Umgekehrt werden Hunde, die gestresst sind, auch vergleichsweise häufiger an der Leine ziehen, was die Besitzer wiederum zum Reißen an der Leine bewegen kann.

So ist das Rucken an der Leine durch den Besitzer eine häufig zu beobachtende Reaktion auf u.a. eine schlechte Leinenführigkeit und aggressive Verhaltensweisen.

Dieses vermeintliche Korrekturmittel kann nach ausreichender Wiederholung beim Besitzer als bedingter Reflex auftreten. Leinenrucke sind nicht geeignet, Problemverhalten zu korrigieren.
Auch beim Hund kann nach ausreichend häufiger zeitlicher Kopplung zwischen dem Rucken an der Leine und einem bestimmten Reiz eine Assoziation zustande kommen.

Wenn ein Besitzer beispielsweise immer dann an der Leine ruckt, wenn der Hund einen bedrohlich wirkenden Reiz erblickt, der Besitzer sich dabei anspannt und / oder seinen Hund körperlich oder verbal bestraft, kann Rucken am Halsband bewirken, dass der Hund bereits dadurch eine Bedrohung empfindet. So kann die Anwesenheit einer bestimmten, Angst auslösenden Person mit Bestrafungssituationen assoziiert werden, wodurch die Angst weiter verstärkt wird (OVERALL 1997).

Dabei kann ein Leinenruck über den Weg einer klassischen Konditionierung Angst bzw. Erregung hervorrufen, was wiederum aggressives Verhalten zur Folge haben kann.

Durch unangemessene Bestrafung durch den Besitzer kann somit angstbedingte Aggression verursacht und / oder verstärkt werden, wobei es gerade bei ängstlichem und / oder aggressivem Verhalten von Hunden häufig zum unbewussten Verstärken durch die Besitzerreaktion kommt.

Das Zufügen eines Schmerzreizes führt zur Erhöhung des Stresslevels, wodurch wiederum der Schwellenwert aggressiven Verhaltens erniedrigt wird (QUANDT 2001).

* Gruppe B Hunde: Dies sind alle Hunde, die im untersuchten Zeitraum während des Wesenstests mindestens einmal Beißbewegungen mit unvollständiger Annäherung oder Beißen mit vollständiger Annäherung an die Testperson gezeigt haben. Gruppe K Hunde bildet eine Teilgruppe der Hunde, die nicht gebissen haben. Diese Tiere zeigten im gesamten Test entweder kein aggressives Verhalten, höchstens optische oder akustische Drohsignale (Drohfixieren, Knurren, Bellen, Zähneblecken) bzw. Schnappen ohne Annäherung (mit Drohsignalen))

Aber nicht nur Brunss beschreibt, dass aversive Erziehungsmethoden zu gesteigertem aggressiven Verhalten führt. Böttjer (2003) beschreibt bei Ihrer Dissertation die gleichen Reaktionen:


Höchstsignifikant mehr Nichtbeißer hatten vor Inkrafttreten der Verordnung die Gelegenheit, ritualisierte Kommunikation unter Artgenossen einzuüben. Einzelfallbeschreibungen von Frustration an der Leine ergänzen dieses Bild.

Andererseits wurde der höchstsignifikante Zusammenhang zwischen aversiven Erziehungsmaßnahmen, insbesondere dem Einsatz des Leinenruckes, und dem Auftreten von Drohverhalten und Beißen im Test gezeigt.

Er bestand deutlich ohne die Beseitigung anderer Variablen (Rasse und andere untersuchte Faktoren des Fragebogens) im Vorfeld, was zusätzlich für den großen Einfluss dieser Erziehungsmaßnahme spricht.
Damit sind Freilauf bei gleichzeitiger Möglichkeit der Kommunikation mit Artgenossen und der Verzicht auf aversive Erziehungsmittel, insbesondere den Leinenruck, die wichtigsten untersuchten Möglichkeiten des Halters, einem Beißen anderer Hunde in Wesenstestsituationen und - übertragen - Alltagssituationen an der Leine entgegenzuwirken.

Diese Ergebnisse können wir aus der Praxis in unserer Hundeschule ebenfalls bestätigen. Hunde, die bisher klassisch mittels Leinenruck oder Stachelhalsband ausgebildet wurden und auch nur selten Kontakt zu Gleichartigen haben, zeigen überproportional häufig Aggressionen gegenüber Artgenossen. Sie haben niemals gelernt, sich adäquat mittels hundlicher Kommunikation mitzuteilen. Durch den Ruck an der Leine wurden Artgenossen als Bedrohung eingestuft, die Unwohlsein und Strafe vom Hundeführer hervorriefen.
Ein Leinenruck verschlimmert also noch vielmehr das Problem - Aggressivität (der Auslöser ist hier erst einmal unrelevant) - als dass ein unerwünschtes Verhalten verändert wird.

Zu den Verhaltensproblemen kommen noch die gesundheitlichen Auswirkungen – die dann allerdings auch wieder Verhaltensprobleme nach sich ziehen können. Wer mittels Halsband oder Kettenhalsband / Stachelhalsband mechanisch im Halswirbelbereich einwirkt, vergisst, dass auch Hunde so etwas wie Bandscheiben besitzen, dass der Hund dort wichtige versorgende Blutbahnen zum Gehirn hat und Luftröhre, Kehlkopf und Schilddrüse sich in diesem Bereich befinden.

Bei einem starken Ruck an der Leine / Halsband können Bandscheibenverschiebungen auftreten. Das kann ihnen jeder Tierarzt bestätigen. Bei stark ziehenden Hunden werden Luftröhre und Kehlkopf gequetscht – was zu einer Sauerstoffunterversorgung im Köper führt. Die Schilddrüse wird ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Eine Quetschung der Hauptschlagader führt ebenfalls zu einer Sauerstoffunterversorgung im Gehirn. Eine Unterversorgung des Gehirns führt bei Menschen (z.B. Schnarchern) zu folgenden Symptomen:
Diese Atempausen führen zu einer Sauerstoffunterversorgung im Gehirn, was wiederum Symptome wie Tagesmüdigkeit, Leistungsminderung, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen, Nachtschweißigkeit, morgendliches Schwindelgefühl sowie auch schwer einstellbaren Bluthochdruck und nächtliche Herzrhythmusstörungen erklären kann. Dazu kommen noch Sehstörungen, Ohnmachtszustände (es wird einem schwarz vor Augen), Bewusstseinstrübung oder Halluzinationen hinzu.


Des weiteren hat man an der School of Veterinary Medicine, University of Wisconsin-Madison (2006) bei einer Untersuchung an "Leinenziehern" mit Halsband festgestellt, dass der Augeninnendruck signifikant ansteigt. Das kann bei Hunderassen, die mit erblicher Netzhautablösung, grauer Star etc. belastet sind, zum Auslöser eben dieser Erkrankungen führen.


Das möchten Sie wirklich Ihrem Hund in der Ausbildung oder in der Verhaltenstherapie antun? Um Ihm wohlmöglich noch zu beweisen "wer hier das Sagen" hat? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie sowieso schon unangenehme Gefühle haben, man Ihnen Schmerzen bereitet und Sie unter Atemnot und Sehstörungen leiden - können Sie noch irgendeinen klaren Gedanken fassen resp. sich auf Ihre "Vertrauensperson" konzentrieren?
Hunde sind zu 75 % genetisch mit uns Menschen verwandt – sie fühlen und haben eine Vorstellung von sich und ihrer Umwelt, in der sie sich bewegen. Hätte ein Hund das nicht, würde er wohl vor jede Tür rennen, wäre nicht in der Lage, einzuschätzen, wo er sich auf dem Agility-Parcours befinden oder würde Berührungen meiden. Viele Vorgänge im Hund sind gleich zu denen im menschlichen Körper.


Wenn Ihr Hund auf Berührungen empfindlich reagiert, gar droht oder schnappt – überdenken Sie Ihre Ausbildungsmethode, steigen Sie auf ein angenehmes Führgeschirr um, lassen Sie Ihren Hund gründlich vom Tierarzt durchchecken und beginnen Sie mit einem guten Trainer eine gewaltfreie und logische Ausbildung.

 

 

QUELLE:

© Monika Gutmann, Hundeschule modern dogs

 

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